Sonntag, 17. Juli 2011

Soziale Netzwerke erst ab 16?

Als ich heute morgen die Überschrift eines Artikels einer Onlinezeitung, zur geplanten Änderung des Telemediengesetzes, gesehen habe, ahnte ich schon fürchterliches: "Bundesrat: Social Networks erst ab 16 Jahren" Da konnte doch nichts gescheites bei rauskommen... Beim Lesen des Artikels, der übrigens HIER verfügbar ist, bestätigte sich meine Befürchtung....



Der Bundesrat möchte also, dass Kinder unter 16 von sozialen Netzwerken ausgeschlossen werden.
Bereits das halte ich in mehrfacher Hinsicht für fragwürdig - um es mal sachte auszudrücken.

1. Das vor kurzem verkündete Ziel, mehr Medienkompetenz bei Schulkindern zu fördern, insbesondere bei social networks, scheint über den Haufen geworfen zu werden. 
Denn: Welches Schulkind interessiert eine Unterrichtsstunde über eine Plattform, die es nie selbst betreten durfte? Von der es keine Ahnung hat, worum es überhaupt geht? Die es, im besten Falle, noch nie zu Gesicht bekommen hat?
Richtig: KEINEN. Und wenn doch, dann wird die Behandlung im Unterricht die Plattform wohl so interessant machen, dass es sich doch Zugang verschafft (siehe Punkt 2).
Möchten die Herren Politiker also erst mit dem Medienkompetenzfördernden Unterricht anfangen, wenn die "Kinder" bereits 16 Jahre den Medien ausgesetzt waren? Dann ist es bereits zu spät.
In der heutigen Zeit wachsen Kinder damit auf - sie werden mit dem Internet und darin enthaltenen Netzwerken groß, und nur während dieses Prozesses, kann man sie noch "in eine Richtung lenken".

2. Wie soll das technisch funktionieren?
Es gibt keine Altersverifikation im Internet. Diverse Post-Ident-Verfahren sind für ein derartiges Netzwerk zu aufwändig. Wer hat schon Lust, für jedes Netzwerk, in dem er sich einmal umsehen möchte, zur nächsten Poststelle zu laufen um dort erst einmal seinen Personalausweis vorzulegen? Ich habe zwar keine Zahlen, würde aber vermuten dass 80-90% aller Deutschen unter 30 Jahren in Facebook und Co. unterwegs sind. Natürlich auch viele darüber, jedoch wird hier die Rate stetig sinken. Dazu addieren wir die User von Twitter, Google+, von allen VZ-Netzwerken, von den ganzen eher berufsbezogenen Netzwerken, und von den vielen kleineren Netzwerken. Die Mitgliederzahlen werden locker in 2-3 stellige Millionenbereiche gehen. Wer in mehreren Netzwerken vertreten ist, muss gleich mehrfach gezählt werden.
Und jetzt stellt euch vor, ab Morgen muss jeder der in einem sozialen Netzwerk ist, sich per Post-Ident identifizieren. Na, seht ihr gedanklich auch schon die Schlangen vor den Poststellen?
Wie also soll es anders gemacht werden? Mit einer Altersabfrage bei der Registrierung "Bitte gib dein Alter an"? Die gibt es bereits, und Kinder unter 13 Jahren wird der Zutritt zu Facebook verwehrt. Doch Studien zeigen, dass unter 13 Jährige trotzdem sehr stark vertreten sind. Wenn selbst 13 Jährige auf die Idee kommen, beim Geburtsjahr einfach ein paar Jahre abzuziehen, bis man über 13 ist, soll das  etwas bei unter 16 jährigen besser funktionieren?

3. Wie soll das rechtlich funktionieren?
Die Server der meisten und größten sozialen Netzwerke stehen im Ausland, meist wohl Amerika und co. Wie, bitte, möchten unsere Politiker deutsches Recht auf ausländische Server anwenden? Da es in keinem anderen Land eine derartige Einschränkung gibt, lachen die Betreiber die Politiker wohl nur aus. Was möchte der Bundesrat also tun? Jedes soziale Netzwerk, dass sich nicht an ihre fragwürdigen Beschränkungen hält in Deutschland verbieten? Ohne weiteres lässt sich wohl keiner davon abbringen sich dort einzuloggen. Wären wir also wieder bei Netzsperren - welche die Regierung ja bereits mehrfach versucht hat einzuführen, und bis jetzt glücklicherweise immer wieder gescheitert ist, auch wenn sie es immer wieder versuchen über Hintertüren mit anderen Gesetzen durchzuboxen.
Werden also bald soziale Netzwerke gesperrt - respektive ZENSIERT? Über die Wirksamkeit einer entsprechenden Websperre brauchen wir gar nicht zu diskutieren, jeder Mensch der lesen, eine Tastatur und Maus bedienen kann, kann diese Sperren umgehen. Anleitungen finden sich hundertfach im Internet in Text und Videoform, schön Schritt für Schritt, damit auch wirklich jeder es schafft.
Wie also möchte der Bundesrat sein Gesetz in der Praxis umsetzen?


"Die Nutzung dieses Dienstes kann Ihren Arbeitsplatz gefährden, und zu Identitätsdiebstahl führen"
Man möchte also erreichen, dass jedes Netzwerk seine Nutzer über mögliche Gefahren aufklärt. Prinzipiell zwar keine schlechte Idee, Aufklärung ist schließlich wichtig.
Aber Moment - war da nicht mal was? 
Wer war nochmal für die Erziehung und Bildung verantwortlich? Waren das nicht früher einmal die Eltern und der Staat? Ich sehe diese Forderung als Versuch, die eigenen Aufgaben an andere abzuwälzen, weil man sich selbst nicht in der Lage sieht damit umzugehen. Schluss also mit Medienkompetenzunterricht in der Schule! Sollen sich doch die Netzwerke um die Bildung und Erziehung im Internet kümmern! Ihr seid irriert? Ist es nicht das, was diese Forderung suggeriert?
Muss ein Autohersteller und -verkäufer nun auch bald ein Schild auf seinen Eingang - oder besser noch auf jedes Auto - kleben, welches davor warnt, dass die Benutzung dieser Technik die Gefahr birgt, sich selbst und andere Menschen zu verletzen oder töten?

Und schon wieder muss ich fragen - wie soll das rechtlich funktionieren? Die Argumenation von Punkt 3 des letzten Hauptthemas gilt hier wieder - uneingeschränkt.

Fazit
Ich weiß zwar nicht, welche Partei diesen Vorschlag konkret gemacht hat (auch wenn ich da so meine Vermutung habe, passt doch perfekt zum kürzlich vorgeschlagenen Verbot von Facebook-Parties....) aber je mehr Gesetzesvorschläge ich mir zum Thema Internet aus der letzten Zeit so ansehe, desto mehr drängt sich mir hier der Verdacht auf, dass viele Politiker nichts mit dem Internet und seinen Inhalten anfangen können. Und offensichtlich ist man auch nicht bereit, sich richtig zu informieren, oder das Thema anderen zu überlassen, welche mehr Ahnung davon haben. "Kenn ich nicht - muss ich verbieten und einschränken" - so lautet wohl die Devise vieler älterer Politiker.

Ich setze noch einen drauf:
Ich sehe auch wirtschaftliche Probleme, welche unter anderem durch diesen Entwurf hervorgerufen wurden, kommen.
Vergleicht man die Preise von Servern in Deutschland mit denen im Ausland, wird man schnell feststellen: In Deutschland bekommt man für das selbe Geld deutlich bessere und schnellere Hardware als in anderen Ländern. Das wäre ein Grund für Firmen, ihre Serverfarmen hier zu betreiben. Aber welcher Betreiber eines großen Netzwerkes, lässt sich freiwillig sinnlose Beschränkungen auferlegen, deren Umsetzung die Kosten für den Betrieb des Netzwerkes in Deutschland ins unermessliche steigen lassen? Wohl keiner. Diese Betreiber werden ihre Milliardenumsätze dann wohl doch lieber in Ländern mit teurerer Hardware, aber billigeren Rahmenbedingungen unterbringen. Dabei könnte Deutschland die Steuern gut brauch - oder etwa nicht?


Daher mein Aufruf an die Politiker:
Kümmert euch doch bitte um die Themen, von denen ihr Ahnung habt, und überlasst bei anderen Themen das Feld denen, die sich damit auskennen, anstatt Geld aus dem Fenster zu werfen, für blödsinnige Gesetzesinitiativen, die zudem noch Grundrechte in Frage stellen?

Abschließen möchte ich diesen Eintrag mit dem Zitat einer Kommentatorin des oben verlinkten Beitrags, da sie den Nagel auf den Kopf getroffen hat:
"Da will man mehr für Bildung tun und sperrt die Kids vom freien Medienzugang aus? Wie wäre es, wenn die Erziehungsberechtigten auf den sachgemäßen Umgang mit den Medien achten und in Aufklärung zum Umgang mit Medien investiert wird, statt freiheitliche Grundrechte infrage zu stellen? Mehr Eigenverantwortung heißt die Devise! Aber Verbote und Kontrolle gehen natürlich einfacher." (Zitat von Ulrike Gerloff, siehe Kommentare des Zeitungsartikels)

4 Kommentare:

  1. Ich stimme dir vollkommen zu. In einem Punkt irrst du dich aber: die Zugangsbeschränkung zu sozialen Netzwerken für Kinder ist keinesfalls eine deutsche Idee. Es gibt so ein Gesetz schon sehr lange in den USA und nennt sich Children's Online Privacy Protection Act (kurz: COPPA, http://www.ftc.gov/ogc/coppa1.htm). Dieses ist seit April 2000 in Kraft und ist der Grund, warum du auf vielen amerikanischen Websites oder Forensoftware aus den USA (wie z.B. phpBB) bei der Registrierung bestätigen musst, dass du mindestens 13 Jahre alt bist. Für Kinder unter 13 ist eine beglaubigte Erlaubnis der Eltern notwendig. Andernfalls dürfen keine persönlichen Daten der Kinder gespeichert werden, was de facto eine Mitgliedschaft im entsprechenden sozialen Netzwerk verbietet.
    Sinnlos ist diese Prüfung jedoch allemal und dass dieses Gesetz nun schon gut 11 Jahre überlebt hat, ist mir unbegreiflich.

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  2. Ok das wusste ich nicht, aber ich denke mit meinem Vergleich zur 12-Jahres-Sperre bei Facebook ist das einigermaßen abgedeckt.
    Wobei man vor 11 Jahren vielleicht noch davon ausgehen konnte dass unter 13 Jährige nicht so ganz wissen wie sie um diese "Sperre" drumrumkommen, wobei selbst das halte ich für fraglich... Spätestens heute klickt halt jeder auf "Ja" nachdem er mit "Nein" nicht rein kam...
    Trotzdem danke für die Info.

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  3. Auf Facebook musst du übrigens auch mindestens 13 sein, nicht 12. Letzteres wäre auch verwunderlich, da Facebook auf diese Zielgruppe von selbst wohl nicht verzichten würde.

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  4. Mist, du hast wieder recht :D wo hab ich das denn letztin gelesen mit den 12... hmm keine Ahnung, aber gut, ich bessere es mal aus, danke ;)

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